Resturlaub verfällt nicht automatisch

Selbst ohne Antrag haben Arbeitnehmer ein Recht auf freie Tage oder einen finanziellen Ausgleich, urteilt der Europäische Gerichtshof (Urteile v. 06.11.2018, Rechtssachen C-619/16, 684/16, 569/16, 570/16).

 

Urlaub dient der Erholung. Niemand kann ohne Pause arbeiten, und jeder Chef ist daran interessiert, erholte und leistungsfähige Mitarbeiter wieder im Unternehmen zu begrüßen. Doch was geschieht mit Urlaubstagen, die ein Mitarbeiter nicht beantragt hat, etwa, weil das Kalenderjahr beendet ist, er aus dem Unternehmen ausscheidet oder verstirbt?

 

Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ist eindeutig: Der Jahresurlaub muss grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr genommen werden, ansonsten verfällt er am 31. Dezember (§ 7 Abs. 3 BUrlG).

 

Nur in Ausnahmesituationen (Krankheit des Arbeitnehmers vor Jahreswechsel, dringende betriebliche Gründe des Arbeitgebers, Arbeitnehmer im Mutterschutz oder in Elternzeit) konnte der Urlaub durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in das Folgejahr übertragen werden und muss sodann in den ersten drei Monaten genommen werden. Die dahinter stehende Intention ist, das Ansammeln von Urlaubsansprüchen zu verhindern, da ansonsten der ursprüngliche Sinn und Zweck der Vorschrift, die Erholung des Arbeitnehmers, nicht erfüllt wird.

 

Auf Grundlage eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 06. November 2018 (Az. Rs.C-684/16) hat nunmehr das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 19. Februar 2019 entschieden (Az.  9 AZR 541/15), dass der Urlaub am Jahresende nicht mehr automatisch verfällt. Arbeitgeber müssen vielmehr auf den drohenden Urlaubs-verfall hinweisen um ihm so die Möglichkeit zu geben, den Urlaub noch rechtzeitig zu nehmen. Dazu stellte Gericht fest, dass der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer in die Lage versetzen muss, tatsächlich in den Genuss des Urlaubs zu kommen. Dafür müsse der Arbeitgeber alle erforderlichen Anstrengungen unternehmen. Die Frage ist aber, ob dafür lediglich eine „Warnung“ ausreichend sein wird.

 

Zudem entschied der EuGH in zwei anderen Fällen, dass ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht mit dem Tod eines Mitarbeiters untergeht, sondern seinen Erben zusteht. Aus Sicht der deutschen Arbeitsgerichte ist Urlaub ein persönlicher Anspruch des Arbeitnehmers - im Europäischen Recht ist der Urlaubsanspruch jedoch grundlegend im Gemeinschaftsrecht verankert. Daher wollten gleich zwei deutsche Gerichte vom Gerichtshof wissen, unter welchen Voraussetzungen nicht genommener Urlaub verfällt oder ausgezahlt werden muss.

 

In den Ausgangsfällen stritten ein Rechtsreferendar aus Berlin und ein Mitarbeiter der Max-Planck-Gesellschaft mit ihren früheren Arbeitgebern über den finanziellen Ausgleich. Der Jurist hatte sich entschieden, in den letzten fünf Monaten der Ausbildung keinen Urlaub zu beantragen. Den Ausgleich forderte er vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin- Brandenburg ein. Im Fall des Forschungsinstituts geht es um die Auszahlung für nicht genommenen Urlaub aus zwei Jahren. Hier hatte das Bundesarbeitsgericht Fragen zur Vereinbarkeit mit dem EU-Recht. Nach deutschem Recht erlischt der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel am Ende des Arbeitsjahres, falls der Arbeitnehmer keinen Urlaubsantrag gestellt hat.

 

Nach diesen Urteilen müssen Mitarbeiter solche Anträge künftig nicht mehr stellen. Vielmehr sind die Arbeitgeber nach Ansicht des EuGH sowie des BGH immer dazu angehalten, sich aktiv um die Urlaubsgewährung ihrer Mitarbeiter zu kümmern. Für Unternehmen heißt das, sie müssen sich früher und intensiver mit den Urlaubsplänen ihrer Mitarbeiter befassen. Insbesondere müssen sie vor dem Ende des Arbeitsjahres innerhalb der Belegschaft nachhalten, wo es offene Urlaubstage gibt. Die Luxemburger Richter stellten darauf ab, dass ein Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis die "schwächere Partei" sei - er könne davon abgeschreckt werden, auf sein Urlaubsrecht zu bestehen. Ausnahmen soll es laut EuGH geben, wenn der Arbeitgeber beweisen kann, dass der Mitarbeiter aus "freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage" auf seinen Urlaub verzichtete. Dann soll es auch nach EU-Recht weder einen Urlaubsanspruch noch einen finanziellen Ausgleich geben.