Containern darf bestraft werden. Die wegen Diebstahls schuldig gesprochenen Studentinnen blieben mit ihren Verfassungsbeschwerden erfolglos. Der Gesetzgeber dürfe auch das Eigentum an wirtschaftlich wertlosen Sachen schützen, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
Man mag politisch diskutieren können, doch Juristen dürfte klar gewesen sein: Die Verfassungsbeschwerden der beiden Studentinnen, die wegen Containerns – also der Entnahme nicht mehr zum Verkauf geeigneter Lebensmittel aus Abfall-containern an einem Supermarkt – schuldig gesprochen worden waren, bleiben erfolglos (BVerfG, Beschluss v. 05.08.2020, Az. 2 BvR 1985/19 sowie 2 BvR 1986/19). Sie waren zulässig, aber unbegründet. Diese Entscheidung veröffentlichte das BVerfG am 18. August 2020.
Die beiden Frauen hatten im Juni 2018 im bayerischen Olching Lebensmittel aus einem nur mit einem Sechskantschlüssel zu öffnenden Müllcontainer auf einem frei zugänglichen Parkplatz entnommen. In dem Container, der von einem Entsorger abgeholt wird, waren Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen war oder die wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes nicht mehr verkauft werden sollten. Der Filialleiter erstattete zwar zunächst Anzeige, nahm sie aber später zurück. Er hatte den Wert der aussortierten Waren an dem Tag mit einem Verkaufswert von rund 200 Euro beziffert. Polizei und Staatsanwaltschaft kamen zu einem Wert von rund 100 Euro.
Die Studentinnen waren vor dem Amtsgericht (AG) Fürstenfeldbruck angeklagt worden wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall, am Ende blieb es bei einer Verwarnung nach § 59 des Strafgesetzbuches (StGB) wegen einfachen Diebstahls gemäß § 242 StGB mit Strafvorbehalt (Entsch. v. 30.01.2019, Az. 3 Cs 42 Js 26676/18). Damit waren die Frauen des Diebstals schuldig gesprochen, aber gerade nicht verurteilt worden.
Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) verwarf die Sprungrevisionen der damaligen Studentinnen als unbegründet (BayObLG, Beschl. v. 02.10.2019, Az. 206 StRR 1013/19 u. 206 StRR 1015/19). Die Frauen wandten sich mit Verfassungsbeschwerden nach Karlsruhe und rügten die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sowie die Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG.
Gleichzeitig startete eine der Frauen eine Unterschriftenaktion. Bis heute, so teilte der Anwalt einer der Frauen mit, hätten über 160.000 Menschen unterschrieben, die in Deutschland die Entkriminalisierung des Containers und ein Wegwerfverbot genießbarer Lebensmittel für den Einzelhandel fordern. Die beiden jungen Frauen hätten die Öffentlichkeit, die ihnen durch den Strafvorwurf zuteil wurde, genutzt, um auf Probleme der Verteilungsgerechtigkeit, den klimaschonenden Umgang mit Ressourcen und der rigiden Strafverfolgung bei Bagatelldelikten aufmerksam zu machen.
Vor dem BVerfG half ihnen das allerdings nichts. Die Auslegung der Fachgerichte verstoße weder gegen das Willkürverbot noch sei die Beweiswürdigung verfassungsrechtlich zu beanstanden. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und insbesondere das Ultima-Ratio-Prinzip (das letzte Mittel) im Strafrecht geböten keine Einschränkung der Strafbarkeit, entschieden die Richter in Karlsruhe.
Denn zum einen geht es um die Auslegung des Begriffs der "Fremdheit": Nur eine "fremde" Sache kann weggenommen werden, um den Tatbestand des Diebstahls zu erfüllen. Was fremd ist, richtet sich nach dem Zivilrecht – und insofern seien die Wertungen der Strafgerichte nach Wortlaut und Schutzzweck des Diebstahls nach § 242 StGB sowie im Hinblick auf die Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtssicherheit sachgemäß. Außerdem seien die Wertungen nachvollziehbar, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und verstießen nicht gegen das Willkürverbot.
Auch mit ihrer Argumentation, die Wegnahme der Lebensmittel als fremde Sache im Sinne des § 242 StGB sei nicht möglich gewesen, weil der Eigentümer den Besitz aufgegeben und die Sachen herrenlos gewesen seien, konnten sich die Frauen nicht durchsetzen. Der Container sollte mit Inhalt an ein Versorgungsunternehmen gehen und sei verschlossen gewesen. Das reiche für die Annahme, dass das Unternehmen Eigentümer der Abfälle habe bleiben wollen, so die Verfassungsrichter
Nur der Gesetzgeber kann es richten.
Bleibt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit: Ist es verhältnismäßig, Studentinnen wegen Diebstahls schuldig zu sprechen, die abgelaufenen Lebensmittel aus einem Container entnehmen? Und das, während nach einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung jährlich 4,4 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll landen, in Supermärkten sollen es am Tag ungefähr 45 Kilogramm sein. Längst gibt es eine Initiative des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft mit dem Titel "Zu gut für die Tonne". Oder gebieten der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und insbesondere das Ultima-Ratio-Prinzip eine Einschränkung der Strafbarkeit eines Diebstahls, wenn es den Tätern darum ging, dass entsorgte Lebensmittel verwertet werden, anstatt im Müll zu landen?
Das mag man so sehen – doch diese Wertung obliegt nicht dem BVerfG. Zwar liege in der Bewertung des Containers als strafrechtlich relevanten Diebstahls ein „sozialethisches Unwerturteil zu“, sagt das BVerfG. Es beinhalte nämlich den Vorwurf, der Täter habe „elementare Werte des Gemeinschaftslebens“ verletzt. Daher komme dem Übermaßverbot als Maßstab für die Überprüfung einer Strafnorm besondere Bedeutung zu. Der Schutz von Eigentum unabhängig von seinem Wert genüge aber diesen Anforderungen, so die Karlsruher Richter.
"Das Gericht kann diese Entscheidung nicht darauf prüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. Es wacht lediglich darüber, dass die Strafvorschrift materiell in Einklang mit der Verfassung steht", wertet das Gericht in seinem Beschluss. Der Gesetzgeber aber habe bisher Initiativen zur Entkriminalisierung des Containerns nicht aufgegriffen.
Bis es dazu kommt, ist das Eigentum an einer Sache geschützt, auch mit den Mitteln des Strafrechts. Und auch dann, wenn die Sachen für den Eigentümer wertlos sind."